Auch wenn mein elfjähriger Sohn Disneys Dschungelbuch noch nie gesehen hat, liegt die Vermutung nahe, dass die Figur des Balu nach seinem Vorbild entstanden ist. „Probiers mal mit Gemütlichkeit“ – so könnte man das Credo des Lütten beschreiben. Trödeln als Lifestyle. Zwanzig Minuten, bevor der Bus in Richtung Schule aufbricht, findet er die Zeit, um in aller Gelassenheit und mit bemerkenswerter Akribie seine 26341 Pokémon-Sammelkarten nach Name, Farbe und Eigenschaft zu sortieren. Zehn Minuten vor der Busabfahrt macht er es sich noch einmal auf seinem Bett bequem, um mit Kumpel Ben, den er sowieso gleich in der Schule sehen wird, eine ausgiebige Chatdiskussion über das Für und Wider des jüngsten Minecraft-Updates zu führen. Als mein Filius den Bus durch sein Kinderzimmer nahen sieht, zieht er sich eilig seine Schuhe an, schnappt sich den Ranzen, verlässt mit einem kurzen „Bis heut’ Nachmittag das Haus“ und sprintet zur Haltestelle. Duschen und frühstücken werden ja eh überbewertet. Kurz vor dem Schließen der Türen schafft es der Lütte in den Bus.
Für den schmunzelnden Fahrer ist das ein gewohnter Anblick. Erst trödeln und dann hetzen – ich weiß nicht, woher mein Sohnemann das hat. Ich zum Beispiel bin heute extra früher aufgestanden, um in aller Seelenruhe meinen monatlichen Blog für ein regionales Lifestyle-Magazin zu schreiben. Zunächst habe ich ausgiebig gefrühstückt und dabei die Zeitung gelesen. Es folgte eine herrlich heiße Dusche. Und weil noch ein wenig Zeit übrig war, informierte ich mich auf Youtube flugs über das neue vollelektrische SUV von Audi. Kann ich mir bei meinem mageren Lohn als Schreiberling zwar eh nicht leisten, aber man wird ja noch träumen dürfen. Nach dem Abarbeiten meines morgendlichen Rituals setzte ich mich an den Schreibtisch. Das Thema für den Monatsblog lag auf der Hand. Mein trödelnder Sohn ist schließlich eine echte Steilvorlage. Fehlt eigentlich nur noch die sonst übliche Schlusspointe. Doch ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich es dieses Mal vielleicht ein wenig zu gemütlich angegangen bin. Entschuldigen Sie, verehrte Leserschaft, aber ich muss weg. Die Schlusspointe gibt es dann beim nächsten Mal wieder. pa
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