9. Mai 2024
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Im Gespräch mit Katy Karrenbauer

Katy Karrenbauer hatte fast ihr Leben lang keinen Kontakt zu ihrem Vater …hatte. Nun unterstützt sie ihren, an Demenz erkrankten Vater, wo sie nur kann. In einem Buch, kraftvoll und berührend zugleich geschrieben, arbeitet sie vieles auf. Uns verriet die 66jährige Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin unter anderem, was verzeihen für sie bedeutet …

Hallo Frau Karrenbauer, seit etwas mehr als vier Jahren pflegen Sie Ihren Papa, der an Demenz leidet, nun schon. Wie funktioniert das?
Durch den überraschenden Tod seiner zweiten Frau hatte er mich als einen Menschen erlebt, der die Dinge in die Hand nimmt, bereit ist zu helfen, Lösungen vorzubereiten und auch zu finden. Er schenkte mir sein Vertrauen und so war und bin ich bis heute in der Lage, vieles in seinem Leben für ihn zu regeln. Heute lebt er in einem Pflegeheim, das ich liebevoll „Residenz“ nenne. Ich habe von Anfang an sehr viel Zeit mit ihm verbracht und betreue ihn nahezu täglich. Dazu habe ich zwei wechselnde Betreuer, die mir dabei helfen, denn ich bringe meinen Vater jeden Tag mindestens zwei Stunden an die frische Luft, damit er am Leben teilnehmen und Gespräche führen kann, auf Menschen trifft und sich verorten kann.

Erzählen Sie uns ein paar Sätze zu Ihrem Vater?
Mein Vater ist ja Architekt und Statiker und war bis zu seinem 84. Lebensjahr sehr selbstständig, hat viel Sport betrieben und sogar noch als Gasthörer an der Uni „studiert“, ist mit seinem Kunstgeschichte-Kurs und somit jungen Menschen durchs Land gereist und hat sich zum Beispiel Bauwerke angesehen.

Nach 50 Jahren ohne wesentlichen Kontakt haben Sie sich beide nun wieder angenähert. Sie sagten: “Ich bin sehr dankbar, dass ich bereit war zu verzeihen.” Das kann wahrlich nicht jeder. Was braucht es dazu?
Mir ist sehr wohl klar, dass es Dinge gibt, die unverzeihlich sind. Daher ist es wichtig zu erwähnen, dass mein Vater mich weder körperlich verletzt hat noch übergriffig war. Er hat die Familie verlassen als ich sehr klein war, hat meine Mutter betrogen und ich habe ihn auf frischer Tat ertappt und verraten. Nachdem meine Eltern sich getrennt hatten, lebte er sein Leben so, als habe er keine Kinder. Das hat mich als „Papakind“, vor allem meine Seele, sehr verletzt. Dennoch vertrete ich die Idee, alleswas zwischen mir und einem Anderen steht, zu Lebzeiten zu klären. Denn der, der am Ende übrigbleiben wird, wird vielleicht nie mehr die Chance bekommen, Fragen zu stellen und somit auch Antworten zu erhalten.

Was gibt Ihnen Kraft?
Meine Freunde, meine Zuversicht, meine Mutter, der Blick aufs Meer aber auch er selbst, mein Vater. Ich bin demütig und dankbar für die Zeit, die wir geschenkt bekommen haben und wir verstehen uns wirklich sehr gut. Das hätte ich mir für mein ganzes Leben gewünscht. Heute berät er mich manchmal, diskutiert mit mir und hat wirklich Interesse an meinem Leben.

Haben Sie schauspielerische Projekte derzeit auf Eis gelegt?
Nein, keinesfalls. Ich arbeite, habe unterschiedliche Projekte und er hat immer Verständnis dafür, denn er weiß ja, dass auch ich Geld verdienen muss. Ich setze dann die Betreuer ein oder bitte meine ältere Schwester, mir zu helfen und sich zu kümmern. Ich bereite dann alles bis ins kleinste Detail vor, telefoniere täglich mit ihm und regle, was zu regeln ist. Das hat bisher, bis auf wenige Tage, ganz gut funktioniert. Allerdings muss ich sagen, dass ich ohne die Betreuer und eine liebe Freundin, die ihn täglich mehrmals anruft, wirklich aufgeschmissen wäre. Die Betreuer sind mittlerweile wie gute Freunde für meinen Vater und er denkt, er kennt sie schon ewig. Dazu kann ich mich auf die Pfleger und Pflegerinnen in der Residenz verlassen, denn sie bemühen sich sehr.

In der Krankheit sehen Sie nicht nur Schlechtes… möchten Sie uns darüber etwas erzählen?
Abgesehen davon, dass ausgerechnet das „Vergessen“ meinen Vater und mich zusammengebracht hat, müsste ich hier wirklich zu weit ausholen.

In ihrem Buch „Ich wollte einen Hund – jetzt habe ich einen Vater“ lassen Sie uns an der Geschichte teilhaben. Welches nicht nur die Ihres Vaters, sondern auch ihre eigene Geschichte ist
Ja, das stimmt. Ich versuche, den Leser mit auf die Reise zu nehmen, wie Dinge entstehen und wie man sie möglicherweise bewältigen kann. Auch schaue ich sehr genau auf die Pflege und die Hilflosigkeit, in die man als betreuendes Familienmitglied geraten kann. Früher sagte man: „Ach, die Oma ist etwas verhuscht oder tüdelig“, wenn sie etwas verlegte. Heute weiß man, dass dies vielleicht schon Anzeichen für diese Krankheiten sein können und wenn wir uns erlauben, das auch so zu sehen, können wir den Prozess teilweise tatsächlich verlangsamen und auch dem entsprechenden Partner Hilfe bereitstellen.

Am 8. Juni können Interessierte an Ihrer Lesung in der Timmendorfer Trinkkurhalle teilnehmen. Ist es für Sie herausfordernd, ein so persönliches und emotionales Thema einem breiten Publikum vorzutragen?
Ja, ich freue mich auf die Lesung, aber ich gestehe auch, dass das Thema mich immer wieder emotional mitreißt. Für mich war ja wichtig, das Buch zu schreiben, während mein Vater lebt. Das heißt, die Geschichte von der ich erzähle, geht ja täglich weiter und es kommen immer neue Herausforderungen auf mich zu. Wenn ich also am Timmendorfer Strand bin, weiß ich heute noch nicht einmal, ob mein Vater mich dann noch erkennt. Zurzeit verwechselt er mich häufig mit seiner Frau und fragt dann nach „der Kleinen“. Die bin ich. Oder nach der Frau, die die Blumen bringt. Die bin ebenfalls ich. Ich bete immer wieder aufs Neue, dass er nicht zu lange in diesem Zustand verharrt, denn ich sehe und fühle, wie es ihn zermürbt und auch wütend macht. Für mich ist das oft fast unerträglich. Aber erwarten Sie bitte keine Dauertränendrüse, es gibt wirklich auch lustige und ganz wunderbare kleine und schöne Episoden, von denen ich erzählen werde.

Werden Sie sich trotzdem noch einen Hund anschaffen?
Augenblicklich passt kein Hund in mein Leben, da hatte mein Vater recht: Dafür habe ich wirklich keine Zeit und ich bin auch nicht egoistisch genug. Aber irgendwann hoffentlich, denn ich könnte einen liebevollen Lebensbegleiter oft wirklich gut brauchen. In meiner Nachbarschaft gibt es allerdings viele Hunde und so kraule ich mich immer wieder fröhlich und begeistert durch die Welt.

Der Sommer steht vor der Tür. Worauf freuen Sie sich?
Sonne und Leichtigkeit, luftige Kleidung und fröhliche, aufgeschlossene Menschen. Das alles erleichtert mir vor allem auch jeden Tag, den ich mit meinem Vater unterwegs bin. Dazu gibt es viele interessante Aufgaben für mich, Dreharbeiten stehen an, weitere Lesungen, Hörspiele, ich werde wieder mehr Zeit mit und bei meiner Mutter an der Ostsee verbringen und auch mit meiner kleinen Schwester Standup paddeln.

Wir bedanken uns ganz herzlich für dieses offene und emotionale Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute!

Katy Karrenbauer – Foto Jan Kohlrusch

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