20. April 2024
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Interview – Im Gespräch mit Rafael Fuchsgruber

Als er aufgrund eines ausschweifenden Lebensstils, geprägt von Alkohol und Zigaretten, kurz vor einem Herzinfarkt steht, beschließt er sein Leben zu ändern und beginnt mit dem Laufen. In einem Buch hat Rafael Fuchsgruber alle Stationen seines Lebens niedergeschrieben und gibt Betroffenen Mut. Wir sprachen mit dem Wüstenläufer, der beim Unicef-Talk im Timmendorfer Maritim bewies, dass er nicht nur ein Kämpferherz, sondern auch eins für Kinder besitzt.

Wie sah Ihr Tagesablauf vor Beginn Ihrer Läuferkarriere aus?
Ich habe sehr viel gearbeitet. Früher als DJ und parallel in meiner Konzertagentur, die ich seit über 25 Jahren leite. Das Leben war
sehr spannend, sehr schnell. Viele Parties – viel Alkohol.

Sie haben Anfang 40 Ihr Leben komplett umgekrempelt, indem sie Alkohol und Zigaretten den Rücken gekehrt und mit dem Laufen angefangen haben. Passierte diese Veränderung von einem Tag auf den anderen?
Der Entschluss die Laufschuhe nach über 20 Jahren Sportabstinenz auszupacken, kam auf der Pritsche im Krankenhaus. Ich lag mit Verdacht auf Herzinfarkt vor’m Internisten. Höchste Eisenbahn, wie man so sagt. Ich war Alkoholiker, lebte den totalen Stress und hatte mir durch einen verschleppten Virus eine Herzmuskelentzündung eingefangen. Der Klassiker! Es dauerte eine knappe halbe Stunde, in der wir noch vom Infarkt ausgingen und ich den Entschluss fasste etwas zu ändern.Es kam das Laufen, der Alkoholentzug und einige Jahre später sah ich das erste Mal die Fotos aus der Sahara vom Marathon des Sables in einem Laufmagazin. Es war um mich geschehen – der Moment in dem ich mich verliebt habe. Eine strukturierte Erklärung konnte ich damals nicht geben. Manchmal braucht es das auch nicht.

Wie haben Ihre „Feierfreunde“ reagiert, als Sie Ihr Leben radikal geändert haben?

Das ging meist mit Bewunderung einher – manchmal Kopfschütteln und gewisse Formen von Ablehnung. Einige mußten in den Spiegel schauen und sahen, dass sie im Sumpf sitzen. Da sie nicht rauskamen war Ablehnung meiner neuen Aktivitäten für sie das passende Alibi, um von der eigenen Situation abzulenken. Mittlerweile ist mir das egal, wenn mir Menschen total betrunken morgens um 3:00 was von Geselligkeit vorlallen während die Zigarettenasche in ihrem Bierglas landet.

Was raten Sie Betroffenen, die in der misslichen Lage stecken, in der Sie einst waren?
Das ist sehr unterschiedlich. So wie die Menschen auch unterschiedlich sind. Wenn ich Zahnschmerzen habe gehe ich zum Zahnarzt. Wenn meine Seele und ich nicht klarkommen, suche ich mir Hilfe bei den dazugehörigen Profis.

Sehen Sie das Laufen als eine Art Ersatzdroge?
Bei dem Begriff bin ich sehr vorsichtig. Wer mal drogenabhängig war, weiß welch ein Druck das ist und wie schwer Tage ohne die Droge werden können. Ein Tag ohne Laufen macht mir kein Problem. Letztes Jahr waren es knapp sieben Monate nach Knieproblemen, die überraschenderweise sehr gut durchgestanden habe. Ich war mir vorher nicht sicher. Ich muss immer was tun. Ich bin ständig in Bewegung. Selbst wenn es eine Ersatzdroge wäre, wäre es auf jeden Fall die gesündere Wahl.

Sie sagten mal über sich selbst: „Ich bin ein Suchender, ein Nomade, ein frei umherlaufender Irrer“. Was hoffen Sie zu finden?
Wenn ich das wüßte…wäre es schade. Das ist wie mit den Träumen: Wenn man sie sich erfüllt, sind sie weg und man braucht neue.
Ich will es gar nicht wissen.

In dem Buch „Running wild“ haben Sie Ihre Lebensgeschichte aufgearbeitet. Wie extrem war es, unliebsame Stationen des Lebens
noch mal zu Papier zu tragen?
An einigen Punkten musste ich überlegen, wieviel Privates ich freigeben will. Ich habe aber aus meinem Alkoholproblem, den Übergriffen durch meinen Vater in der Kindheit oder anderen Themen nie ein Geheimnis gemacht und somit war dieser Schritt emotional vollkommen unemotional. Es war nur die Überlegung inwieweit dies unsere kleine Tochter Mara betreffen könnte am Beispiel von Kindern untereinander: „Dein Papa war ja Alkoholiker. Bäh Bäh Bähä.“ Tut es aber nicht, wie sich unsere Vermutung nun bestätigt. Ich habe „Running wild“ letztes Jahr geschrieben, wie es mir in den Kram passte und hatte vollkommen freie Hand. Nach Veröffentlichung haben sich ein paar Dinge für mich sehr überraschend geändert. Das Buch wurde ein großer Erfolg. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es war jetzt aber nicht sonderlich schwer mit dieser Wendung umzugehen. Unerwartet war die Reaktion von vielen Menschen, denen das Buch ein wichtiger Begleiter geworden ist. Selbstredend viele Sportler. Ebenfalls naheliegend, dass es Alkoholiker gibt – trocken oder noch nicht – die mit mir Kontakt aufgenommen haben. Aber auch Menschen mit schwerwiegenden emotionalen Problemen, die mich von ihrer stationären Behandlung aus angeschrieben haben. Es ist sehr schön mitzubekommen, dass das Buch irgendwas macht. Darunter einiges Gutes, wie es scheint.

Sie hatten nach einer schweren Knie-Op 12 Monate Zeit, sich auf „The Track“ – ein 520–Kilometer-Lauf durch den australischen Outback – vorzubereiten. Mussten Sie nach der langen Pause wieder von vorne anfangen zu trainieren?
Ja! Das war schön und bitter. Bitter weil man bei fast nichts wieder anfängt. Schön, weil man wieder große Fortschritte erleben kann,
wenn man so weit unten neu beginnt.

Meinen Sie, dass es nach „The Track“ noch eine krassere Herausforderung gibt?
Im Moment denke ich über ein Rennen im Iran nach. Dort in der Wüste wurde dieses Jahr die höchste jemals gemessen Lufttemperatur von 70,7°C erreicht. Klingt spannend.

Woher nehmen Sie den Antrieb, sich selbst so an die Grenzen zu treiben?
Erstens bin ich ein wenig irre und mag keine Grenzen. Deswegen geht es immer wieder dorthin und drüber hinweg. Aber man darf auch eins nicht vergessen: Das Laufen ist meine große Liebe und somit nicht wirklich anstrengend.

Trainieren Sie wirklich jeden Tag oder gibt es auch mal Ruhepausen?
In den harten Zeiten ist sogar zweimal am Tag Training. Allerdings ist einmal die Woche komplett trainingsfrei. Nach einem großen Wettkampf liege ich zwei Wochen auf der faulen Haut. Danach gibt es meist wieder Ziele und ich fange langsam wieder an.

Lieber Herr Fuchsgruber, wir bedanken uns für das ausführliche Interview und wünschen Ihnen alles Gute bei Ihren weiteren Läufen und viel Gesundheit!

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