25. April 2024
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Männer – mal so gesehen… – Kennst du den schon?

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Diese Lektion lernte ich jüngst im Rahmen eines feierabendlichen Kneipenbesuchs mit einem Arbeits- kollegen. Für einen Mittwoch war das verrauchte Etablissement recht gut gefüllt. Nach rund drei Stunden galt das auch für uns. Mein Kollege verabschiedete sich, ich blieb. Den freigewordenen Platz füllte ein Mann, der sich als Jürgen vorstellte. Ob er 50 oder 70 war, vermochte ich nicht zu beurteilen. Sein zerfurchtes, von einem markanten Schnäuzer geprägtes, Gesicht hatte etwas Sympathisches. Jürgen offerierte mir eine Zigarette und zündete sich dann selbst einen Glimmstengel an. „Kennst du den schon?“ – Diese Frage markierte den Startschuss für einen wahren Reigen, ein Füllhorn an zotigen Witzen. Der erste ging so oder so ähnlich: „In einem Zugabteil sitzen drei Herren und eine Dame. Der Zug fährt durch einen langen Tunnel. Als es wieder hell wird, sagt einer der Herren zu der Dame: Der war aber lang, oder? Darauf sie: Das kann man wohl sagen. War das Ihrer?“ Die kleine Anekdote nötigte mir allenfalls ein gequältes Lächeln ab. Doch Jürgen ließ nicht locker. Von der frustrierten Hausfrau über die sich anbiedernde Sekretärin bis hin zur immergeilen Nymphomanin spielte dieser komische Kauz die gesamte Klaviatur des gepflegten Herrenwitzes aus dem Effeff. Nach einer Stunde, die sich wie Kaugummi zog, konnte ich mich mit dem Verweis auf den morgendlichen Arbeitsbeginn aus Jürgens verbalem Klammergriff lösen und verließ die Kneipe. Herrenwitze – hatte nicht die Sexismus-Debatte um FDP-Politiker Rainer Brüderle dieser antiquierten Gattung vor knapp drei Jahren den Todesstoß versetzt? Woraus zieht dieses humoristische Äquivalent zur umhäkelten Klorolle auf der
Hutablage heute eigentlich noch seine Daseinsberechtigung? Der stetig sinkende Frauenverschleiß in James Bond Filmen dürfte doch auch dem letzten Ewiggestrigen den neuen Zeitgeist vor Augen führen. Das Thema ließ mich auch am nächsten Tag nicht los. In der Mittagspause auf der Arbeit tippte ich das Wort „Herrenwitz“ in die Suchmaschine ein. Zweiter Eintrag: „Charly Wagner liest Klassiker des Herrenwitzes“. In ein braunes Jacket mit gelbem Gentlemen-Einstecktuch gewandet war der ehemalige WDR-Nachrichtensprecher kurz nach der Brüderle-Affäre Stammgast in der Harald Schmidt Show. Wagner nahm dort regelmäßig in einem Ohrensessel Platz und blickte gütig durch die Gläser seiner Lesebrille in einen dicken Wälzer. Mit dem Duktus eines Märchenonkels verlas er selbst die derbsten und kreativsten Formulierungen für primäre oder sekundäre Geschlechtsmerkmale, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Wörter wie „Prachtprengel“ oder „mächtige Möpse“ aus dem Munde eines eleganten und nicht minder eloquenten Herren in den besten Jahren verfehlten selbst bei dem humorresistentesten Hörer nicht ihre Wirkung. Mit seiner trockenen, ironischen Art machte sich Wagner nicht über das häufig thematisierte weibliche Geschlecht lustig, sondern über die Gattung an sich. Da überkam mich eine Erkenntnis. Nicht der Herrenwitz stirbt aus, sondern vielmehr die Herren, die ihn auch erzählen können. Jürgen wird es wohl trotzdem weiter versuchen.     pa

© Foto: Kues1 – Fotolia

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